Antisemitismus und Rassismus – was machen die Schulen?

    Anfang März dieses Jahres verübt ein 15-Jähriger einen brutalen Angriff auf einen orthodoxen Juden in Zürich. Von verschiedenen Seiten wurde kurz nach dem Angriff gefordert, man müsse in der Bildung und den Schulen ansetzen und die Jugendlichen besser über die Dimension des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts unterrichten.

    (Bilder: zVg) Erika Bigler ermöglicht den Jugendlichen mittels «Oral History» einen neuen Zugang zur Geschichte.

    Im Schulalltag fragen Jugendliche oft bereits in der 1. Sek, wann endlich der Zweite Weltkrieg thematisiert werde. Am Interesse fehlt es folglich nicht. Mit dem Lehrplan 21 wurden jedoch die Geschichtslektionen nochmals gekürzt und der Zweite Weltkrieg wird oft erst Ende der 3. Sek behandelt. Je nach Interesse der Lehrperson oder dem Zeitdruck des Schulstoffes geschieht dies eher oberflächlich oder etwas vertiefter. In der aktuellen politischen Lage wäre eine Thematisierung jedoch besonders wichtig. Lehrpersonen können einen entscheidenden Unterschied machen, indem sie sich im Unterricht mit der Thematik des Holocausts sowie mit Rassismus und Antisemitismus auseinandersetzen.

    Neue Unterrichtsideen
    Früher befragten Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht ihre Grosseltern zum Erleben der Zeit während des Zweiten Weltkriegs. Da mehr und mehr dieser Zeitzeuginnen und -zeugen verstarben, kam die Frage auf, wie diese Geschichten für kommende Generationen erlebbar gemacht werden könnten. In diesem Prozess entstand das Projekt des digitalen Buches.

    Das Projekt des digitalen Buches macht Geschichte erlebbar.

    Der Zugang erfolgt über das Internet: «Schweizer Jugend im Zweiten Weltkrieg». Es beinhaltet Videos von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die den Krieg als Kinder und/oder Jugendliche in allen vier Sprachregionen der Schweiz erlebt haben, sowie Zeitzeugen, die vor dem Holocaust in die Schweiz geflüchtet sind.
    Jugendliche sollen mittels «Oral History» einen neuen Zugang zu Geschichte erhalten. Das digitale Buch ist kostenfrei zugänglich und kann über das Smartphone, den Computer oder das iPad nach Interesse im eigenen Lerntempo erkundet werden.
    Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen im digitalen Buch zählen zu verschiedenen Religionen, unter ihnen sind auch Jüdinnen und Juden. In Zusammenarbeit mit der «Gamaraal Foundation» und der Stiftung «The Last Swiss Holocaust Survivors» konnten zusätzlich Zeitzeugen Videos von Geflüchteten vor dem Holocaust ins digitale Buch integriert werden.

    Relevanz in der Weiterbildung für Lehrpersonen
    Das digitale Buch «Schweizer Jugend im Zweiten Weltkrieg» wird im Geschichtsunterricht auf den Sekundarstufen I und II eingesetzt. Lehrpersonen schätzen das digitale Buch mit den Videos, weil sie Geschichten von realen Menschen erzählen und so den Jugendlichen näherkommen, als dies ein «trockenes» Geschichtsbuch könnte. Daher ist die Weiterbildung von grosser Wichtigkeit. In Zusammenarbeit mit dem Geschichtsdozenten Andreas Stadelmann, von der Pädagogischen Hochschule Bern, entstanden drei themenbezogene Masterarbeiten von Studierenden. Nebst der Thematik von «Oral History» wurden Unterrichtsmaterialien verfasst, die wieder in die Unterrichtseinheiten des digitalen Buches integriert werden konnten. An der Pädagogischen Hochschule St. Gallen konnten Lehrerweiterbildungen zum Thema lanciert werden, die auf grosses Interesse stiessen:

    «Wir werden das digitale Buch ‹Schweizer Jugend im Zweiten Weltkrieg› definitiv in den Geschichtsunterricht einfliessen lassen. Wir überlegen uns auch schon ein jahrgansübergreifendes Projekt daraus zu machen.»

    «Die im digitalen Buch präsentierten Zeitzeugen Interviews können gezielt im Geschichtsunterricht eingesetzt werden. Es steht hochstehendes Begleitmaterial zur Verfügung!»

    Holocaust Zeitzeugen sprechen zu Schulklassen
    Ende Mai wird erneut ein Holocaust Zeitzeuge zu 100 Schülerinnen und Schülern einer 3. Sek im Zürcherischen Säuliamt sprechen. Zusätzlich wird die Roll-Up Ausstellung der «The Last Swiss Holocaust Survivors» im Schulhaus zu sehen sein. Aussagen wie die von Ronja von 2023 zeigen, wie wichtig die Begegnung mit Zeitzeugen heute ist.

    «Der Vortrag der Holocaust Zeitzeugin Agnes Hirschi war sehr spannend, aber auch schockierend. Ich war beeindruckt, wie sie alle ihre Erinnerungen lebendig weitergeben konnte».

    Elternhaus trägt Verantwortung mit
    Das digitale Buch ««Schweizer Jugend im Zweiten Weltkrieg» ist nicht nur ein Lehrmittel für den Schulunterricht. Es ist für jedermann kostenfrei zugänglich und kann auch von Eltern und Grosseltern forschend erkundet werden.
    Bildung und eine aktive Auseinandersetzung mit der Thematik darf nicht ausschliesslich an die Schule delegiert werden. Eltern tragen ebenfalls eine grosse Verantwortung. Bildung und Aufklärung über geschichtliche Fakten ist heute nötiger denn je, im Schulunterricht und im Familienkreis.

    Erika Bigler,
    Sekundarlehrerin und
    Präsidentin des Vereins
    für zeitgemässes Lernen

    www.erikabigler.ch

    Digitales Buch
    «Schweizer Jugend
    im Zweiten Weltkrieg»
    www.ch-jugend2wk.ch

    Vorheriger ArtikelNeue Pro-Patria-Briefmarken sind den Auslandschweizer/innen gewidmet
    Nächster Artikel«Stell Dir vor, es sind Wahlen, und keiner geht abstimmen»